In der Presse #25

Jüdische Gemeinden:
Ohne Rücksicht auf
Verluste

04. November 2005

An jüdischen Betonköpfen scheitert vorerst auch deutsches Recht: Trotz eines letztinstanzlichen Urteils und klarer Vorgaben des Landes droht die Finanzierung der jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt zum Debakel für alle Beteiligten zu werden.

Von Rainer Meyer

Der Prophet gilt im eigenen Land wenig: Dem Ansehen der jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt werde «schwerer Schaden» zugefügt, betonte Stefan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, in einem Schreiben an das Land und benannte auch gleich den Schuldigen: den dem Zentralrat angehörenden Landesverband der jüdischen Gemeinden und dessen Blockadehaltung im Streit mit dem Land und der liberalen Synagogengemeinde Halle.

Kramer hat Recht behalten. Die Verhandlungen über einen neuen Staatsvertrag zwischen Land und Landesverband drohen zu scheitern. Hintergrund ist die Forderung des Landes, die Verwendung der staatlichen Finanzierung in der Höhe von einer Million Euro jährlich durch den Landesrechnungshof prüfen zu lassen, wozu sich die Gemeinden bislang nicht bereit erklären. Ein 2003 bekannt gewordener Prüfbericht hatte den im Landesverband vertretenen Gemeinden unter anderem problematische Spesenabrechnungen, Scheinarbeitsverträge und überhöhte Gehaltszahlungen attestiert. Schon damals reagierte der Landesverband mit wenig diplomatischen Protesten. Nachdem das Land aber weiterhin von Zweckentfremdung der Mittel ausgeht, bestehe in diesem Punkt kein Spielraum, so der zuständige Kulturstaatssekretär Winfried Willems.

Hohe Geldforderungen

Die Unregelmäßigkeiten in Sachsen-Anhalt sind kein Einzelfall. Auch andere Verbände und Gemeinden fielen in den letzten Jahren durch eher kreative Buchhaltung auf. In der Folge tendieren deutsche Behörden inzwischen dazu, die Gemeinden nicht mehr ungeprüft zu unterstützen. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gibt den Gemeinden und Verbänden in Deutschland zwar eine große Unabhängigkeit, der bewusste Missbrauch könnte aber dazu führen, dass dieses Privileg verloren geht. Die falsche Verwendung staatlicher Mittel kann schwere Strafen für die Verantwortlichen nach sich ziehen. Die Erkenntnis, dass eine bestandene Prüfung durch Rechnungshöfe Vertrauen und Ansehen schafft, ist bislang noch nicht weit verbreitet.

Die Neigung zu mitunter bizarren Rechtsauffassungen wird auch durch den Versuch des Landesverbandes dokumentiert, die direkte Zahlung von Fördermitteln an die liberale Synagogengemeinde Halle zu unterbinden. Die hatte sich erfolgreich durch alle Instanzen geklagt, um auch an der Förderung durch das Land beteiligt zu werden. Durch das Urteil steht jetzt eine Forderungen in der Höhe von zwei Millionen Euro durch die Hallenser Gemeinde im Raum. Nachdem sich der Landesverband weiterhin weigert, die Gemeinde ohne Bedingungen angemessen an der Förderung des Landes zu beteiligen, überweist jetzt das Land monatlich direkt 7500 Euro an die Gemeinde und legt wegen weiterer Forderungen rund 12500 Euro auf ein Treuhandkonto. Im Gegenzug werden dem Landesverband monatlich 20000 Euro weniger überwiesen. Diese vorläufige Regelung möchte der Landesverband wieder gekippt sehen – und nach den gerade gescheiterten Verhandlungen unter Stefan Kramer wieder verhandeln, obwohl das Urteil dazu keinerlei Spielräume offen lässt.

Streit droht zu eskalieren

So zumindest argumentiert jetzt die Synagogengemeinde Halle und droht, ihre Forderungen per Gerichtsvollzieher vollstrecken zu lassen. Geplant ist, das Konto des Landesverbandes sperren zu lassen, was den Gemeinden faktisch den Geldhahn zudrehen würde. Ob die Aussicht auf die Zahlungsunfähigkeit den Landesverband zum Einlenken bewegt, kann nach den bisherigen Erfahrungen bezweifelt werden. Vielmehr droht der Konflikt endgültig zu einer offenen Schlammschlacht zwischen Juden und deutschen Beamten zu eskalieren.

Quelle:
tachles - das jüdische Wochenmagazin Nr.44/2005, 4. November 2005

 

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