In der Presse #22

Jüdische Gemeinden
streiten um Zuschüsse

01. Oktober 2005

Land dringt auf jährliche Prüfung durch den Landesrechnungshof

Von Michael Bock

Magdeburg - Die Verhandlungen über einen neuen Staatsvertrag zwischen Sachsen-Anhalt und der Jüdischen Gemeinschaft stehen auf der Kippe. Streitpunkt ist vor allem ein vom Land gefordertes Prüfrecht des Landesrechnungshofes. Außerdem gibt es weiter Zwist um die Verteilung staatlicher Zuschüsse.

Die 1996 gegründete liberale Synagogengemeinde Halle liegt im Clinch mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinschaft. Seit Jahren kämpft sie juristisch um Gelder aus dem Staatsvertrag.

Das Schlussprotokoll zu Artikel 13, Absatz 4, des Vertrages legt ausdrücklich fest, dass alle Gemeinden – auch neu entstehende – Anspruch auf Staatsleistungen haben, und zwar unabhängig von ihrer Mitgliedschaft im Landesverband.
Der orthodox geprägte Landesverband unterlag der liberalen Synagogengemeinde am 11. November 2004 vor dem Oberverwaltungsgericht Magdeburg und zuletzt im Juli dieses Jahres, letztinstanzlich, vor dem Bundesverwaltungsgericht. Doch der nunmehr höchstrichterlich zur Unterstützung verpflichtete Landesverband der Jüdischen Gemeinden sperrt sich nach wie vor gegen die Zahlung. Selbst dem Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stefan Kramer, war es als einer Art Vermittler nicht gelungen, ein Umdenken zu erreichen. In einem Brief vom 22. September 2005 an Kultusstaatssekretär Winfried Willems (CDU) erklärte Kramer seine Bemühungen um eine Einigung für gescheitert. Er beklagte in seinem Schreiben deutlich das „Blockadeverhalten des Landesverbandes“ und einiger seiner Mitglieder, welches dem Ansehen der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt weitergehenden schweren Schaden zufüge.

Damit stellte sich der Dachverband offen gegen die eigene Mitgliedsorganisation.

Willems sagte, dieses Schreiben des Generalsekretärs führe jedem die Dramatik der Situation deutlich vor Augen. Auch der Staatssekretär kritisierte die „uneinsichtige und provokante Haltung“ des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden. Dessen „sture Haltung“ sei „unerträglich“.

Als Konsequenz will das Land nunmehr neben den Jüdischen Gemeinden Halle, Magdeburg und Dessau auch die liberale Synagogengemeinde Halle finanziell unterstützen, die bislang keine Zuschüsse erhielt. Die anderen Gemeinden erhalten künftig entsprechend weniger vom Förderkuchen des Landes, der jährlich rund eine Million Euro umfasst.

Das Land werde der liberalen Synagogengemeinde ab Oktober „bis auf weiteres“ monatlich 7500 Euro überweisen und dazu 12 500 Euro auf ein Treuhandkonto zahlen, sagte Willems. Auf dem Treuhandkonto soll so eine Rücklage gebildet werden, bis die aufgelaufenen Ansprüche der Synagogengemeinde in Halle geklärt sind. Diese pocht auf die Nachzahlung von rund zwei Millionen Euro.

Die Verhandlungen über den neuen Staatsvertrag hatten im Juni mit dem Ziel begonnen, die Finanzierung der Jüdischen Gemeinden und ihres Landesverbandes zu reformieren. Das Land will mehr Transparenz bei der Verwendung staatlicher Zuschüsse und mehr Wirtschaftlichkeit erreichen. In einem 2003 öffentlich gewordenen Prüfbericht hatte der Landesrechnungshof dubioses Finanzgebaren der drei Gemeinden Halle, Magdeburg und Dessau und im Landesverband festgestellt. Fördergelder waren nicht rechtmäßig verwendet worden. Die Prüfer rügten zum Beispiel fragwürdige Spesenabrechnungen, Scheinarbeitsverträge, Bürgschaften für Unternehmen und überhöhte Gehaltszahlungen.

Die Jüdischen Gemeinden und der Landesverband hatten nach inneren Streitigkeiten selbst eine Überprüfung ihrer Bücher angeregt, dem Rechnungshof später aber vorgehalten, die Prüfung sei „möglicherweise mit bewusst antisemitischem Ziel“ erfolgt.

Erst im März dieses Jahres hatte Willems erklärt, es gebe weiterhin „Tendenzen, Landesgelder zweckentfremdet zu verwenden“. Jetzt sagte er, einen neuen Staatsvertrag werde es nicht geben, ohne dass dem Rechnungshof einmal pro Jahr Prüfrecht eingeräumt werde: „Da gibt es keinen Spielraum.“ Willems kritisierte, die Jüdische Gemeinschaft habe sich bislang nur mit der Prüfung des Landesverbandes, nicht aber der Gemeinden einverstanden erklärt. Beim Landesverband war gestern niemand erreichbar.

Inzwischen gibt es im Land Bestrebungen, weitere Gemeinden zu gründen. So steht beispielsweise die Gemeinde in Magdeburg vor der Spaltung, in Halberstadt entsteht eine neue.

Zur Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt gehören rund 1700 Menschen. Etwa 95 Prozent davon sind Einwanderer aus den ehemaligen GUSStaaten. Der derzeit gültige Staatsvertrag wurde 1994 geschlossen.

Quelle:
Volksstimme Magdeburg, 1. Oktober 2005


 

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