In der Presse #16

Wir sehen uns vor Gericht
Das Judentum, die neuen
Staatsverträge und die Justiz

20. Juli 2005

von Alexander Kissler

Glaube und Geld, Recht und Gesetz, die Freiheit der Religion, die Macht des Staates und ein ‘Sprung zurück in das Jahr 1938’. Dieser Streit hat alle Bestandteile, die ein Krimi braucht, doch sein Kern ist eine Frage von sachlicher Schönheit. Wer darf jene Gelder beanspruchen, mit denen das jüdische Leben in Deutschland gefördert werden soll? An welche Gemeinden müssen die Landesregierungen sich halten, um ihren Verpflichtungen aus den diversen Staatsverträgen nachzukommen? In den neunziger Jahren sind zahlreiche Gemeinden entstanden, orthodoxe wie liberale, die nicht dem Zentralrat der Juden angehören. Deshalb haben die im Zentralrat vertretenen Landesverbände ihr Monopol als Vertragspartner eingebüßt. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts markiert nun einen weiteren Höhe- und vorläufige Endpunkt in dieser heiklen Debatte.

Seit fast acht Jahren bemüht sich die liberale Synagogengemeinde Halle um Mittel aus dem Staatsvertrag vom 23. März 1994. Dieser wurde mit dem Landesverband Jüdischer Gemeinden geschlossen. Begünstigte ist jedoch die ganze "jüdische Gemeinschaft" des Landes Sachsen-Anhalt. Ausdrücklich heißt es, der Zuschuss von einer Million Euro jährlich solle "anteilmäßig den Gemeinden unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zum Landesverband zufließen." Dennoch hat die rund 200 Mitglieder umfassende Synagogengemeinde bisher laut eigener Auskunft keine Mittel erhalten. Bereits im Juli 1998 bestätigte das Verwaltungsgericht Magdeburg das Recht der Reformgemeinde auf finanzielle Beteiligung, ebenso tat es das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt im November 2004. Die Möglichkeit der Revision wurde ausgeschlossen, wogegen der Landesverband klagte und jetzt vor dem Bundesverwaltungsgericht unterlag.

Folgt man dem Landesverband, dessen Gemeinden eher orthodox ausgerichtet sind, dann zählen zur ‘jüdischen Gemeinschaft’ nur Körperschaften des öffentlichen Rechtes. Die 1996 wiedergegründete Synagogengemeinde ist ein eingetragener Verein. Außerdem könne man von dessen Mitgliedschaft in der "Weltunion für progressives Judentum" nicht unbedingt auf die "Ernsthaftigkeit der Religionsgemeinschaft" schließen. Drittens, so hieß es in einer früheren Verhandlung, stelle die Gegenseite sich als jüdische Gemeinde dar, um an den staatlichen Mitteln beteiligt zu werden.

Atom und Büttel.

Isaak Euchel, Schüler Kants und neben Moses Mendelssohn Protagonist der Haskala, der jüdischen Aufklärung, schrieb 1783: "Somit willen wir zu Gott beten, dass er uns mit Erkenntnisvermögen und Vernunft und Verstand versieht, das heißt, dass es in unserer Macht stehen soll, die Geschöpfe und ihre Handlungen (....) mit dem Verstand zu erfassen, ihre Eigenschaften und ihre Geschichte zu erkennen." Abraham Geiger, Martin Buber, Leo Baeck folgten demselben Impuls, und an diese Tradition wollen die 18 liberalen Gemeinden außerhalb des Zentralrats anknüpfen. Sie betonen die "Freiheit des einzelnen Gewissens" und die "Gleichberechtigung von Frauen und Männern im synagogalen Leben".

Der Zentralrat befürchtet eine Atomisierung der Gemeinschaft, wenn die knappen Zuschüsse unter immer mehr Empfängern aufgeteilt werden müssen. Besonders ärgert sich Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats, über ein Satz, den das Bundesverwaltungsgericht bereits am 28. Februar 2002 ausgesprochen und nun bekräftigt hat: Der Landesverband nehme "mit der Verteilung der Staatsleistungen an die Gemeinden keine eigene Angelegenheit wahr, sondern eine staatlichen Aufgabe, die ihm übertragen worden ist". Damit, so Spiegel, habe das Gericht die Landesverbände zu "staatlichen Erfüllungsgehilfen ohne religionsgemeinschaftliches Selbstbestimmungsrecht degradiert." Die Religionsautonomie werde ausgehöhlt.

Noch vor der Bekanntgabe des Urteils hat Sachsen-Anhalt angekündigt, dem Staatsvertrag neu verhandeln zu wollen. Die Förderung der liberalen Gemeinden will man festschreiben. Zugleich sollen Mechanismen installiert werden, um die im Dezember 2002 vom Landesrechnungshof gerügte zweckwidrige Verwendung der Fördergelder zu unterbinden. Diese "Fehlentwicklung" ist laut Staatsekretär Winfried Willems "nicht oder nur zum Teil behoben worden".

Schleswig-Holstein hat im Januar dieses Jahres mit der orthodox geführten ‘Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein’ und mit dem liberalen Landesverband einen Vertrag geschlossen. Auch in Niedersachsen werden beide Richtungen berücksichtigt. Brandenburg hingegen hat aus den Rechtshändeln wenig gelernt. Am 13. April verabschiedete das Parlament jenen Staatsvertrag, der laut Schimon Nebrat "ein Sprung zurück in das Jahr 1938" sei.

Brandenburg hat den Juden nicht die Bürgerrechte aberkannt. Wohl aber wird Nebrats "Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde" (GJL), eine streng orthodoxe Abspaltung, vom Staatsvertrag nicht eigens bedacht. Der Rest der Geschichte folgt wohl dem bekannten Muster: Ein Gericht spricht Recht, und der Underdog gewinnt. Am 10. Mai hat das Oberverwaltungsgericht Brandenburg in einem früheren Fall erklärt, es verstoße gegen Gleichheitsgrundsatz und Neutralitätsgebot; der GJL die Förderung zu versagen. Die neue Vielfalt bricht sich gewaltig Bahn."

Quelle:
Süddeutsche Zeitung vom 20. Juli 2005


 

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