In der Presse #6

Vertritt der Zentralrat
alle Juden?

09. Dezember 2004

Rubrik Fragwürdig: Rabbiner Dr. Walter Homolka kommentiert ein Grundsatzurteil.
Der Rektor des Abraham Geiger Kollegs an der Uni Potsdam ist zugleich Gouverneur der Weltunion für progressives Judentum.

ND: Nach siebenjährigem Rechtsstreit hat das Magdeburger Oberverwaltungsgericht entschieden, dass die liberale Synagogengemeinde Halle Anspruch auf Staatsgelder hat. Was bedeutet das?

Homolka: Man muss wissen, dass in Deutschland die meisten Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts Zuschüsse vom Staat bekommen. Das gilt für die Kirchen, für Weltanschauungsgemeinschaften wie den Humanistischen Verband und eben auch für die jüdische Gemeinschaft. Geregelt wird das durch Staatsverträge auf Länderebene. Darüber hinaus erhält der Zentralrat der Juden jährlich Bundeszuschüsse in Höhe von drei Millionen Euro.

Was genau hat sich durch das Magdeburger Urteil verändert?

Der Zentralrat und der orthodoxe Landesverband der jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt hatten bislang jede Beteiligung der Liberalen an öffentlichen Mitteln verhindert. Nach eigenen Angaben erhält der Verband für seine knapp 1800 Mitglieder jährlich rund eine Million Euro. Das Urteil eröffnet den gleichberechtigten Zugang liberaler jüdischer Gemeinden zur staatlichen Förderung. Und: Landesverbände und Zentralrat gelten nicht mehr als Alleinvertretung des jüdischen Bekenntnisses.

Worin unterscheiden sich Liberale und Orthodoxe überhaupt?

Das liberale Judentum, das vor 200 Jahren in Deutschland entstanden ist, stellt die jüdische Tradition in einen modernen Kontext. So sind Frauen bei uns in der religiösen Praxis gleichberechtigt. Die Orthodoxie versteht die Tora buchstäblich; wir meinen, dass Gott sich jeder Generation neu offenbart. Das deutsche Judentum war mehrheitlich liberal ausgerichtet, bis der Holocaust dem ein Ende machte. Inzwischen gibt es hier wieder 16 liberale Gemeinden, die Mitglied der Weltunion für progressives Judentum sind. Weltweit vertritt die WUPJ 1,8 Millionen Juden und Jüdinnen in 41 Ländern.

Welche konkreten Erwartungen ziehen Sie aus dem Urteil?

Wir hoffen nun auf eine zügige Veränderung des Verteilungsschlüssels der Landesmittel. Die Weltunion hat die zuständigen Landesregierungen bereits aufgefordert, aktiv zu werden. Das Urteil des OVG Magdeburg unterstreicht, dass es kein einheitliches Judentum gibt, sondern unterschiedliche jüdische Bekenntnisse, die vom Staat Gleichbehandlung erwarten dürfen. Es hat den Weg freigemacht, überall dort liberale jüdische Gemeinden zu gründen, wo dies gewünscht wird – mit Anspruch auf angemessene Beteiligung an öffentlichen Geldern, auch ohne zwingende Mitgliedschaft im Zentralrat.

Könnte das bald zu weiteren Gemeindegründungen führen?

In Niedersachsen bestehen bereits zwei anerkannte Gemeindeverbände neben einander. In Berlin existiert neben der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit ihren eher traditionell ausgerichteten Synagogen auch noch die orthodoxe Austrittsgemeinde Adass Jisroel, die religiöse Neuerungen ablehnt. Hier ist also noch Raum für eine Gemeinde, die den Grundsätzen des liberalen Judentums nach Buchstabe und Geist entspricht.

Was steht hinter diesen Streit um die Gleichberechtigung liberaler Juden in Deutschland?

Es darf kein Judentum erster und zweiter Klasse geben. Es ist gut, dass Bund und Länder die Wunden des Holocaust mit Fördermitteln heilen helfen. Aber dann müssen die Gelder des Steuerzahlers auch dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach ausgereicht werden. Ich hätte mir gewünscht, dass Bund und Länder nicht erst den Zeigefinger der Gerichte gebraucht hätten, um zu dieser Einsicht zu gelangen.

Gespräch: Gideon Wollberg

Quelle:
Neues Deutschland, 9.12.2004


 

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