In der Presse #28
Glauben und Insolvenz
Finanzstreit im Jüdischen
Landesverband Sachsen-Anhalt
24. Januar 2006

Diese Geschichte ist wohl erst zu Ende, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Bald wird Streit um Gleichberechtigung, Vertragstreue und Geld das jüdische Leben in Sachsen-Anhalt ruiniert haben. Für die jüngste Eskalation sorgte eine Strafanzeige, die vergangene Woche bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg einging. Um zweieinhalb Millionen Euro sieht sich die Synagogengemeinde Halle betrogen. Eine solche Summe hätte der orthodox geprägte Landesverband der Jüdischen Gemeinden seit 1996 an die liberale Konkurrenz weiterleiten müssen. Nun bestehe Verdunkelungs- und Fluchtgefahr. Durch Urkundenfälschung, Betruf und Untreue habe der Landesverband staatliche Gelder zweckentfremdet. Von "Verbindungen ... in den Bereich der mafiosen Kriminalität ist die Rede.

Seit Gründung vor zehn Jahren bemüht sich die Synagogengemeinde um Gelder aus dem Staatsvertrag. Da der Vertrag 1994 mit der "Jüdischen Gemeinschaft" geschlossen wurde und der Landesverband die Gelder - gut eine Million Euro jährlich - an "neu entstehende Gemeinden" weiterleiten soll, ist die juristische Lage eigentlich geklärt. In diesem Sinne entschieden das Oberverwaltungsgericht Magdeburg und das Bundesverwaltungsgericht zugunsten der Synagogengemeinde. Am 6. Dezember 2005 lehnte das Bundesverfassungsgericht es ab, sich mit dem Fall zu beschäftigen.

Von September bis Dezember vergangenen Jahres überwies der Landesverband denn auch 7500 Euro monatlich an die Liberalen. Im Januar blieb das Geld aus, woraufhin der Staatsanwalt die zehnseitige Post erhielt. Am selben Tag, dem 16. Januar, schrieb auch der Landesverband, nämlich dessen Vorstand Evsey Blumenkranz, einen Brief. Empfänger war die Synagogengemeinde, und der Brief nannte sich "Bescheid": Fortan sollten monatlich nur 1570 Euro den Hallensern überwiesen werden. Laut Blumenkranz zählt deren Gemeinde nur 41 Mitglieder, die man in Relation setzen müsse zu den eigenen 2090 Mitgliedern.

Das Kultusministerium misstraut den neuen Rechenkünsten. Vier Tage später erhielt der Verband die Aufforderung, bis zum gestrigen Montag den vereinbarten, auf einer Mitgliederstärke von 217 beruhenden Betrag auszuzahlen. Sonst sei die "weitere Auszahlung des Landeszuschusses" gefährdet. Folgt man der Klageschrift, hätten die Zahlungen bereits eingestellt werden müssen. Trotz der Gerichtsurteile habe der Landesverband keine Rücklagen gebildet. Da er als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht bankrott gehen kann, stehe das Land in der Pflicht.

Der hässliche Millionenstreit, in dem der Zentralrat Position bezog gegen sein Mitglied, den Landesverband, lässt das auslösende Moment verblassen. Nur ein Satz findet sich hierzu in der Strafanzeige: "Auch glaubensmäßige und rituelle unterschiedliche Vorstellungen" verschärften den Konflikt. Für Bekenntnisgespräche aber ist es zu spät. Offenbar ist das reklamierte Geld beim Landesverband nicht vorhanden. So könnte also die Synagogengemeinde, ein eingetragener Verein, insolvent werden, während Sachsen-Anhalt für die Verwerfungen im Landesverband gerade steht. Das Kultusministerium zieht zumindest eine Lehre aus dem Ganzen: Mit Hochdruck arbeitet man an einer Neufassung des Staatsvertrages.

Alexander Kissler

Quelle:
Süddeutsche Zeitung - 24. Januar 2006

 

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